Jahreszeitenfarben
Der Farbtheoretiker und Lehrer Johannes Itten, der in den 1920er und 30er Jahren am Bauhaus an der Seite von Kandinsky arbeitete, entwickelte das Konzept der „subjektiven Farbe“. Itten beobachtete, dass seine Schüler ihre besten Arbeiten schufen, wenn sie Farben verwendeten, mit denen sie persönlich in Resonanz traten, oft solche, die ihrer eigenen Haut-, Haar- und Augenfarbe entsprachen. Er kam zu dem Schluss, dass die Persönlichkeit unsere Vorliebe für bestimmte Farbwerte beeinflusst, und entwickelte vier harmonisierende Gruppen, die er mit den vier Jahreszeiten verglich. Kandinsky glaubte, dass die Farben, die einen Menschen am meisten ansprechen, eng mit seiner Persönlichkeit verbunden sind. So neigt beispielsweise eine extrovertierte und intensive „Herbst“-Persönlichkeit zu den warmen, lebendigen Tönen einer Herbstpalette. Im Gegensatz dazu fühlt sich eine eher introvertierte, ruhige und gelassene „Sommer“-Persönlichkeit zu den kühlen, zarten Farbtönen einer Sommerpalette hingezogen.
Ittens Forschung auf diesem Gebiet erlebte Ende des 20. Jahrhunderts ein erneutes Aufleben des Interesses, das von Unternehmen wie Colour Me Beautiful und Colour Affects weiter erforscht wurde. Bis vor kurzem wurden diese Prinzipien jedoch selten im Interior Design angewendet.
Ein Interior Designer muss viele Faktoren berücksichtigen, wobei der ultimative Fokus auf Oberfläche und Form liegt, um einen Raum in eine ansprechende Komposition zu verwandeln. Die Auswahl von Farben auf der Grundlage der Persönlichkeit ist zwar ein wichtiger Aspekt des Designprozesses, bietet aber nicht die endgültige Lösung.
Die Jahreszeitenlehre in der Praxis
Die Jahreszeitenlehre nach Itten ist nicht nur eine Theorie, sondern lässt sich auch praktisch anwenden. Stell Dir vor, Du gestaltest ein Wohnzimmer für eine „Sommer“-Persönlichkeit. Hier würden kühle, sanfte Farben wie Pastellblau, Rosé oder Graugrün eine beruhigende Atmosphäre schaffen. Für eine „Herbst“-Persönlichkeit hingegen wären warme, erdige Töne wie Terrakotta, Senfgelb oder Olivgrün ideal, um ein gemütliches und einladendes Ambiente zu schaffen. Auch bei der Auswahl von Textilien, Möbeln und Accessoires kannst Du Dich an den jeweiligen Jahreszeitenfarben orientieren, um ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen.
Kritik und Weiterentwicklung
Obwohl Ittens Jahreszeitenlehre viele Anhänger hat, gibt es auch kritische Stimmen. Einige Experten bemängeln, dass die Zuordnung von Persönlichkeiten zu Jahreszeiten zu vereinfacht ist und individuelle Unterschiede nicht ausreichend berücksichtigt. Andere sehen die Gefahr, dass Menschen in starre Kategorien gepresst werden. Trotz dieser Kritikpunkte bleibt die Jahreszeitenlehre ein wertvolles Werkzeug, um die Beziehung zwischen Farben und Persönlichkeit zu verstehen und kreative Farbkonzepte zu entwickeln. In der modernen Farbberatung werden die Prinzipien von Itten oft mit anderen Ansätzen kombiniert, um eine ganzheitliche und individuelle Farbberatung zu gewährleisten.